Auch interessant:
Die Fotografie ist vollkommen objektiv und zeigt immer die Wahrheit. Das Objektiv einer Kamera bildet die Außenwelt so ab, wie sie ist, also ohne Hinzufügen oder Weglassen von Details, eben ganz objektiv im Gegensatz zur Malerei oder Zeichenkunst. Form und Inhalt einer Fotografie sind untrennbar miteinander verbunden. Realität und Abbildung verschmelzen miteinander. Fotografische Bilder sind Momentaufnahmen, die im Bruchteil einer Sekunde einen definierten Ausschnitt der dreidimensionalen Welt in einem zweidimensionalem Schattenbild aus Hell- und Dunkel-Abstufungen festhalten, ein Moment, der für immer vorbei ist.
Fotografie macht sichtbar. Dinge und Ereignisse, die sonst für die meisten Menschen unsichtbar geblieben wären, werden durch die Fotografie erlebbar und sichtbar gemacht. Ein Foto ist der eingefrorene Zustand eines Moments in der Vergangenheit, ein Stück Zeit, das festgehalten wurde. Fotografie und Tod gehören zusammen. Der fotografierte Moment ist unwiderruflich vergangen und nicht wieder herstellbar. Fotos sind Zeitkapseln. Sie führen einen Kampf gegen die Vergänglichkeit und stehen für das Vergangene, das nicht mehr Existierende, Tote.
Das Wichtige ist die Wirkung der Fotografie. In dem Augenblick wo eine fotografische Aufnahme gezeigt wird, kann sie Wirkung entfalten und Emotionen auslösen. Dies kann im kleinen Kreis der Familie, in einer Ausstellung, einer Veröffentlichung oder durch Teilen im Internet passieren. Erst durch den Betrachter wird das Foto zu einem wirksamen Objekt im öffentlichen Raum und zu einem Medium, das Ideen und Weltbilder verbreiten kann.
Objektive Fotografie existiert nicht. Fotos wurden schon immer verfälscht, manipuliert oder aufgehübscht. Es wird retuschiert, beschnitten, weggelassen oder hinzugefügt, wie der Kunde oder der Fotograf es immer haben möchte oder der Verwendungszweck oder der Zeitgeschmack es verlangt. Bereits durch die Wahl des Bildausschnitts schließt der Fotograf Bildteile aus. Durch die Einstellung der Schärfeebene wird der Blick des Betrachters auf bestimmte Bildteile gelenkt. Ungewollte Gegenstände oder Personen können nachträglich durch Retusche aus den Fotos entfernt werden.
Die Vertreter der Reinen Fotografie der 1930er Jahre propagierten ein Neues Sehen und wollten keine Manipulation mehr zulassen und alle bildnerischen Ergebnisse ausschließlich mit fotografischen Mitteln erzielen. Auf den Abzügen wurde manchmal sogar der Rand des Negativs mit gedruckt, sichtbar als schwarze Umrandung der Bilder, um zu zeigen, dass nichts von der Aufnahme beschnitten wurde.
Fotografie verleiht Bedeutung, sagte die Autorin Susan Sontag in ihrem Buch „Über Fotografie“. Erst eine Situation, die fotografiert worden ist, hat wirklich stattgefunden. Das Foto wird zum Beweis der Wirklichkeit. Dies wird besonders deutlich im Wechsel der Sehgewohnheiten, die mit der aufblühenden Bilderpresse seit den 1930er Jahren eintrat. Während bis in die 1920er Jahre Zeitungsartikel nur sehr selten bebildert waren, wurden Fotos in den 1930er Jahren in Illustrierten und Tageszeitungen zum wichtigsten Kommunikations- und Informationsmedium. Seit den 1970er Jahren haben Reportagen im Fernsehen diese Rolle übernommen.
Der Fotograf als Autor will auch immer seine eigene, ganz subjektive Sicht auf die Welt festhalten. Er zeigt die Welt wie sie ist. Im Englischen gibt es die treffende Unterscheidung zwischen „to make a picture“ und „to take a picture“, also Fotos im kreativen Sinne machen und gestalten oder Fotos von einer vorgegebenen Situation aufnehmen. Der US-amerikanische Fotograf Ansel Adams brachte es so auf den Punkt: „You don't take a photograph, you make it“.
Beim Aufnehmen eines Fotos (englisch: take a photograph) eignet sich der Fotograf das fotografierte Objekt im übertragenen Sinne an. Die Aufnahmen der Straßenfotografie durchbrechen die Schranken der Privatsphäre und dringen in das Leben der fotografierten Menschen ein. Das Aufgenommene wird zum Objekt und wird Eigentum des Fotografen. Menschen werden so gezeigt, wie sie sich selbst nie sehen können oder zeigen würden, entsprechend dem Menschenbild des Fotografen.
Fotokünstler schaffen ihre eigenen Welten und vermitteln Botschaften und Ideen. Wie ein Bühnenbild arrangieren sie die Realität entsprechend ihren kreativen Ideen und Vorstellungen. In der kreativen oder inszenierten Fotografie entstehen Fotos (englisch: make a picture) im Sinne eines gestalterischen Vorgangs, bei dem Komposition und Erzählen im Vordergrund stehen. Der Fotograf wird zum Gestalter der Situation bis hin zur vollständigen Inszenierung und Kontrolle der Aufnahme.
Das Spannungsfeld zwischen Subjektivität und Objektivität ist fundamental für die Fotografie. Zwischen diesen beiden Polen liegt die Wahrheit der Fotografie.
Allerdings ist ein Foto nichts ohne den Betrachter als drittem Element. Er eignet sich dieses ominöse Objekt der Begierde an und verbindet es mit seinen ganz individuellen Sicht auf die Welt.
Einige herausragende Fotografen haben mit innovativen Sichtweisen die Ästhetik der Fotografie und ihre neue Sicht auf die Welt geprägt. Die beste Antwort auf die Frage, ob Fotografie Kunst ist, lautet: „Fotografieren ist keine Kunst. Aber eine Fotografie kann ein Kunstwerk sein“. Damit ist alles gesagt. Basta.

Fred Holland Day: Ebony and Ivory, 1899
Die Erfindung der Unschärfe
Eine wichtige Neuerung in der darstellenden Kunst wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts durch eine Besonderheit der Fotografie eingeleitet. Lange Belichtungszeiten und große Blendenöffnungen führten häufig zu unscharfen oder verwischten Bereichen in den Aufnahmen oder zu komplett unscharfen Fotos.
Die Unschärfe als Stilmittel war neu und Maler begannen ebenfalls den Effekt zu simulieren. Nicht nur die Landschaftsmaler der Schule von Barbizon oder die impressionistische Malerei arbeiteten mit der Unschärfe als Stilmittel zum Erzeugen von Stimmungen, auch Porträtmaler experimentierten jetzt mit unscharfen und verschwommenen Hintergründen in ihren Porträts.
Mit der Zeit wurden die fotografischen Techniken verbessert und machten eine bewusste Steuerung der Schärfe möglich. Die Schärfe einer Fotografie wurde jetzt sogar zu einem wichtigen Qualitätsmerkmal. Wie viel oder wie wenig Schärfe eine fotografische Aufnahme erfor¬derte, wurde kontrovers diskutiert. Die künstlerische Unschärfe wurde sogar zu einem wichtigen Stilelement der Fotografen des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Kürzer werdende Verschlusszeiten und leistungsfähige Verschlüsse machten ab 1890 auch das Fotografieren von sich bewegenden Objekten möglich. Jetzt konnte auch die Bewegungsunschärfe ganz bewusst als Stilmittel eingesetzt werden – oder auch nicht.
Vor allem in der Porträtfotografie wird die gezielte Unschärfe des Hintergrundes eingesetzt, um den Porträtierten besser in Szene zu setzen.

Julia Margaret Cameron: Porträt, 1850
Was macht ein gutes Foto?
Mit der Verbreitung von fotografischen Bildern in sozialen Netzwerken scheinen der Erfolg eines Fotos und seine vermeintliche Qualität quantifizierbar zu sein, wenn man die Anzahl von Klicks der Betrachter der Aufnahme im Internet zugrunde legt. Auch der Verkaufserlös einer Fotografie auf einer Auktion scheint ein Indiz für ihre Qualität zu sein. Aber klar ist auch, dass hier nicht künstlerische Kriterien oder die gesellschaftliche oder politische Relevanz einer Aufnahme eine Rolle spielen, sondern lediglich ihre mediale Aufmerksamkeit.
Die fotografischen Sichtweisen wurden am Anfang des 20. Jahrhunderts von Fotografen wie Paul Strand, Albert Renger-Patzsch oder Edward Weston neu definiert. Was das Auge nicht sehen konnte, sah jetzt die Kamera. Nahaufnahmen von Maschinenteilen oder Formen der Natur lenkten den Blick auf bisher nicht beachtete Welten. Edward Weston fotografierte Paprikaschoten wie erotische Super-Models und nackte Frauen am Strand wie abstraktes Treibgut. Der fotografische Blick auf die Welt war im Wandel und führte zu ganz neuen Sichtachsen und Perspektiven.
Was heute auf Instagram an Selbstdarstellungsorgien stattfindet, sah der Fotograf Slim Aarons bereits in den 1980er Jahren voraus: „Ein gutes Foto ist nichts anderes als ein Bild von attraktiven Menschen, die an attraktiven Orten attraktive Dinge tun".
Seit den 1970er Jahren arbeiten Kameras zunehmend automatisch. Heute macht sich kaum noch jemand Gedanken über die Einstellungen und Funktionen seiner Kamera, die sich meist in einem Smartphone befindet. Fokus, Blendeneinstellungen, Belichtungszeit oder Lichttemperatur werden automatisch eingestellt.
Trotz der zunehmenden Automatisierung hat sich seit 200 Jahren nichts Grundlegendes an den technischen Qualitätsfaktoren bei der Entstehung einer fotografischen Aufnahme geändert. Jedes Element einer Kamera, das an einer Aufnahme beteiligt ist, hat seinen spezifischen Einfluss auf die technische Qualität der fotografischen Abbildung: Die abbildende Optik sollte über eine hohe Auflösung und Lichtstärke verfügen und frei sein von Abbildungsfehlern. Das lichtempfindliche fotografische Aufnahmematerial sollte für alle Wellenlängen des sichtbaren Lichtspektrums gleichermaßen empfindlich sein und über eine hohe Lichtempfindlichkeit und Detailauflösung verfügen. Je größer das Aufnahmeformat ist, desto qualitativ bessere und schärfere Drucke können von den Aufnahmen angefertigt werden, eine Regel, die auch noch im digitalen Zeitalter für die Digitalsensoren gilt.
Der Verschluss sollte eine breite Möglichkeit an Verschluss-zeiten ermöglichen, zum Beispiel von mehreren Sekunden bis zu 1/1000 s oder kürzer. Eine kurze Belichtungszeit friert schnelle Bewegungen ein. Die Blende steuert die Lichtmenge und die Schärfentiefe der Auf-nahme, zum Beispiel wenn der Porträtierte scharf und der Hinter-grund unscharf sein soll.
Die meisten Fotos entstehen eher spontan und ohne Zweckbestimmung. Es sind Schnappschüsse, die einen Moment festhalten. Künstlerische Kriterien, Diskussionen über Komposition, Kontrast und Ausleuchtung greifen hier nicht.
Der Verwendungszweck von Fotografien war einem ständigen Wandel unterworfen. Die ersten Porträts wurden in Fotoalben gesammelt und diente rein privaten Zwecken. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Fotografie als Kunstwerk entdeckt und schmückte die Wände von Wohnungen und Galerien. Fotografie wurde zunehmend öffentlich und für alle sichtbar. Auch Zeitungen druckten am Anfang des 20. Jahrhunderts hin und wieder fotografische Aufnahmen zu wichtigen Ereignissen.
Nachrichtenmagazine und Modemagazine wurden insbesondere in den 1930er Jahren ausgehend von den USA sehr populär. Fotografie wurde allgegenwärtig und überall sichtbar. Auch Kunstmuseen veranstalten jetzt erste fotografische Ausstellungen. In der großen der Zeit der journalistischen Pressefotoagrafie starteten in den 1950er Jahren weltweit zahlreiche neue Magazine, die auf die Fotografie als Kommunikationsmittel setzten. Spätestens seit den 1970er Jahren hat die Fotografie alle Ebenen des tätlichen Lebens durchdrungen, von privaten und intimen Aufnahmen, über berufliche und wissenschaftliche Anwendungen, bis hin zu vielfältigen künstlerischen Ausdrucksformen.
In dem Augenblick, in dem etwas fotografiert wird, verändert sich seine Bedeutung. Jedes auch noch so unscheinbare Motiv kann ein Zeitdokument werden und im Kontext seiner Entstehung einen historischen Moment oder ein nicht wiederholbares Ereignis festhalten.
Fotos sollen Aufmerksamkeit erzeugen. Das Repertoire der Bildsprache ist groß. Komposition, Farbe, Format, Größe, Bildausschnitt, Unschärfe, Blickrichtung sind gängige Gestaltungsmittel der Fotografie. Beglei-tende Texte können helfen, eine Fotografie zu verstehen. Andere Fotos stehen textlos für sich oder werden in Serien präsentiert. Im Kontext mit anderen Fotos können sich fotografische Erzählungen entwickeln.
Um ein Foto zu verstehen, muss der Betrachter den zeitlichen, kulturellen und historischen Zusammenhang der Aufnahme kennen. Erst in diesem Kontext erschließt sich der Sinn und Zweck, sowie die Bedeutung einer Aufnahme. Ein gutes Beispiel ist Robert Capa’s unscharfe Aufnahme von der Landung der Alliierten Truppen in der Normandie von 1944, die zu einem wichtigen Zeitdokument wurde. Ein praktischer Hinweis kommt von Robert Capa selbst, der meinte: „Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, dann warst du nicht nah genug dran.“
Der Fotograf – egal ob er digital oder analog arbeitet – kann jeden Teil der Bildentstehung beeinflussen, von der Aufnahme durch die Wahl der Kamera, des Objektivs, des Bildausschnitts, der Belichtungszeit oder der Blende, über grafische Effekte bis hin zu aufwändigen Druckver-fahren und qualitätsvollen Fotopapieren. Auch das fotografierte Objekt kann arrangiert und in Szene gesetzt werden. Bei der Aufnahme können technische Hilfsmittel wie künstliche Beleuchtung die Bildgestaltung und Bildqualität beeinflussen. Anschließend wird das Foto solange bearbeitet bis alle ungewünschten Bildteile entfernt sind und Kontraste und Farben ihre beste Wirkung entfalten.
Der amerikanische Fotograf Edward Steichen stellte schon vor 100 Jahren fest: „Tatsächlich ist jedes Foto von A bis Z eine Fälschung. Ein völlig sachliches, unmanipuliertes Foto ist praktisch nicht möglich. Letzten Endes bleibt es allein eine Frage von Maß und Können.“ Dies galt damals schon und gilt im digitalen Zeitalter und mittlerweile mit den Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz umso mehr.
Natürlich kann das interessante Motiv auch nur einfach da sein und muss nur noch vom Fotografen „abgeknipst“ werden. Was einen guten Fotografen auszeichnet, ist, dass für ihn das Bild zunächst im Kopf entsteht und er es spontan umsetzt, indem er im richtigen Augenblick nur noch den richtigen Blickwinkel und die richtige Perspektive wählen muss.
Die Sichtweisen und Blickwinkel der Fotografie entwickelten sich mit den technischen Rahmenbedingungen von der starren horizontalen Perspektive mit dem direkten Blick auf die rückseitige Mattscheibe der Kamera, über die Bauchnabelperspektive der ersten Spiegelreflexkameras, zur Wahrnehmung auf Augenhöhe mit den modernen Sucherkameras. Heute werden Smartphones zum Fotografieren in jede Richtung geschwenkt und dabei meistens hochgehalten. Ein kontinuierlicher Perspektivwechsel, der die Wahrnehmung der Fotografie entscheidend mitprägte, vom verschämten und diskreten Blick nach unten zur offensiven Jagd nach dem besten Schnappschuss.