Gedanken zum Ende der Fotografie: Die Fotografie nach der Fotografie
Eigentlich ist über die Fotografie schon alles geschrieben worden. Alle Aspekte der Fotografie sind beleuchtet, alle fotografischen Stile ergründet und Perspektiven gewechselt worden.
Menschen lieben Bilder. Bilder als Dekoration, zu spirituellen oder Propaganda Zwecken begleiten die Geschichte der Menschheit. Der Schritt von der Zeichnung oder dem Gemälde zum Foto war ein historischer Meilenstein. Die Erfindung der Fotografie, ihre weltweite Verbreitung und ihr Höhenflug im Internetzeitalter als unverzichtbares Kommunikationsmedium machte die Fotografie zum selbstverständlichen Teil unseres Alltags.
Die Fotografie – jeder stellt sich unter Fotografie etwas anderes vor. Fotografie ist mittlerweile nur noch ein Oberbegriff für eine bestimmte Art von Bildern, Techniken oder Stilen. Sie ist integrativer Teil des täglichen Lebens geworden. Jeder fotografiert. Jeder fotografiert jederzeit und alles. Jedes Foto ist sofort weltweit für jedermann verfügbar. Die Fotografie als Schlüsselerfindung ermöglicht eine alles umfassende visuelle Kommunikation nach dem Motto: „die Fotografie ist die einzige Sprache, die überall auf der Welt verstanden wird.“
Die technische Entwicklung der Fotografie seit der Veröffentlichung der ersten Verfahren im Jahr 1839 hat die Grenzen des Machbaren stetig erweitert hat und jedem zugänglich gemacht. Die Geschichte der Fotografie ist auch eine Geschichte der industriellen Entwicklung in der der Optik, der Feinmechanik und der Chemie. 

Henri Fox Talbot: fotogenische Zeichnung eine Farnblatts, ca. 1839

Per Definition ist eine Fotografie ein durch die Einwirkung von Licht entstandener Helligkeitsabdruck, der proportional zur Lichtmenge auf einer lichtempfindlichen Oberfläche durch einen chemischen Prozess festgehalten oder mit Hilfe von Fotosensoren elektronisch als Helligkeitswert gespeichert wird. Mit Hilfe einer abbildenden Optik in einer Kamera bildet das entstandene Helligkeitsmuster ein fotografisches Bild.
Fotos sind prinzipiell im Moment des Entstehens fertig. Dies ist ein wichtiger Unterschied zum Werk eines Künstlers, das durch einen gestalterischen und konzeptionellen Entstehungsprozess zustande kommt.  Mit der weltweiten Verbreitung der ersten fotografischen Verfahren in den 1840er Jahren entbrannte schnell eine Diskussion über ihre Bedeutung für die Menschheit. Für die Einen war die Fotografie die naturgetreue, inventarisierende Abbildung der Wirklichkeit mit allen Details, also ein Dokument. Für die Anderen war das fotografische Bild vollkommen subjektiv, der Fotograf daher ein Künstler, der manipulativ mit den Elementen der Wirklichkeit komponiert und sie sich aneignet, um sich auszudrücken. 

Jacob August Riis, USA (1849–1914): die Anfänge des investigativen Journalismus, 1890

Fotos haben vor allem eine konkrete Bestimmung, von der ihre Form, Größe und Qualität abhängt. Diese meist objektive Zweckbestimmung macht den Unterschied, ob ein Foto für das Archiv, das Familienalbum oder zur Veröffentlichung bestimmt ist, ob es als Werbeplakat, als repräsentatives Bild über dem Kamin oder als Porträt auf einem Grabmal dienen soll. Man macht ein Foto nicht um des Fotos willen, sondern man bestimmt es im Voraus für eine Person, einen Zweck, eine Funktion, kurz man verfolgt eine Absicht, die erreicht werden soll oder auch nicht.
Eine Fotografie kann in der Regel beliebig oft ohne Qualitätsverlust vervielfältigt werden, früher als Abzug von einem Negativ oder Abdruck in Büchern und Zeitschriften, heute als digitale Kopie, die sogar zeitgleich von Millionen von Internet Nutzern gesehen werden kann. Und doch hält jede fotografische Aufnahme einen einzigartigen Moment fest, der sich nicht wiederholen lässt und für immer weg ist. Auch wenn der Eiffelturm bereits millionenfach fotografiert wurde, ist doch jede Aufnahme ein Unikat. Die Fotografie enthüllt die Bedeutung des Zufälligen und macht Dinge sichtbar, die sonst ungesehen geblieben wären. 
Vor der Verbreitung des Fernsehens waren es fotografische Bilder, die den Menschen neue Welten erschlossen. Im 19. Jahrhundert war es die Faszination für orientalische Kulturen oder Naturaufnahmen aus bislang unerschlossenen Gebirgsregionen, also Gebieten, die für den Durchschnittsbürger damals unerreichbar waren. Im 20. Jahrhundert folgten dann realistische Kriegsberichte und Reportagen über Menschen am Rande der Gesellschaft, ebenso wie inszenierte Berichterstattungen über Stars und Mode, bis hin zu sensationshaften Bildern von menschlichen Embryos, der Mondlandung oder zerstörten Naturlandschaften.
Die Fotografie veränderte dauerhaft den Blick der Menschen auf die Welt und erweiterte ständig die Grenzen des Sehbaren und des Zeigbaren. Die Erfindung der Fotografie hat Künstler, Ingenieure, Erfinder und Amateure geradezu aufgestachelt, sich mit ihr zu beschäftigen und sie technisch und bildnerisch weiterzuentwickeln. 
Die Entwicklung der Fotografie war immer auch eine Spiegelung der gesellschaftlichen und künstlerischen Bewegungen der jeweiligen Zeit. Sie hat sich von einer technischen Neuerung zu einer bedeutenden Kunstform entwickelt, die von der Realität bis zur digitalen Manipulation alle Facetten der Wahrnehmung abdeckt. Heute stellt sich niemand mehr die Frage, was Fotografie eigentlich ist, ob Fotografie nur ein automatisierter Vorgang der Bilderzeugung oder Kunst ist, ob eine Fotografie nur ein banales Dokument ist oder ins Museum gehört. 

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